Brachland 11: Thomas Zollinger

Die Planung der Legende:


2100 nächtlich Nackte 

König Bruno der Erste und Letzte gönnt der Wiese seines anarchistischen Königreichs von August 2017 bis Juli 2018 ein Brachejahr. Auch eine Kunstwiese braucht mal Pause! verkündet er. Neu gilt darum das Noseländische Baugesetz, gemäss dem in einem Brachejahr keinerlei Kunstbauten auf Noseland gestellt werden dürfen (Verordnung von König Bruno per 1. April 2017). Vermutlich ist das Datum der Verordnung reiner Zufall und hat nichts mit den Aprilscherzgebräuchen im angrenzenden Ausland zu tun, denn König Bruno lädt zu Werkproduktionen ein, die dieses Gesetz respektieren sollen. Das geschieht, indem man sich heute am Feuer bei Glühwein, Brot und Käse trifft und vom Werk berichtet, das angeliefert worden wäre, wenn nicht Brache wäre.

Am 20. August im aktuellen Brachejahr hat auf Noseland noch der Fremdanlass „Nudeland“ mit nackten Menschen stattgefunden. Der Anlass war im Rahmen der neuen Noseländischen Gesetzgebung möglich, da keine für Kunstbauten notwendige Materialien verwendet wurden und die Kunstbauten erschaffenden Lebewesen und handelnden Subjekte wie zum Beispiel Menschen nicht als Kunstbaute angesehen werden können. Das Baugesetz wurde eingehalten, indem die Kleider der nachmalig Nackten ausserhalb der noseländischen Wiese deponiert wurden.

Was auf Noseland verfassungs- und im Brachejahr verordnungskonform möglich ist, ist  unbeabsichtigt für das umliegende Ausland zum Problem geworden. Die politischen und juristischen Instanzen des nächstliegenden Schweizerlandes haben aufgrund einer Meldung aus der angrenzenden Nachbarschaft zu klären, ob der Anblick von Nackten aus der Distanz von etwa 250 Metern den Tatbestand von Art. 20 des Polizeireglements Zofingen erfüllt oder nicht: „Wer in der Öffentlichkeit durch ungebührliches Verhalten oder Betteln Ärgernis erregt, wird bestraft.“

Unterschiedliche Gesetze und Reglemente und deren unterschiedliche Auslegung beeinflussen das Verhältnis von anarchistischem Kleinstkönigreich Noseland und dem umliegenden Schweizerland zuungunsten des Kleinen. Um für ein respektables Nebeneinander ein Zeichen zu setzen, nimmt Thomas Zollinger die Einladung von König Bruno für ein diesmal offizielles Werk zum Anlass, noch im Brachejahr 2017/18 nackte Menschen nicht mehr sichtbar am Tag, sondern in der Nacht auftreten zu lassen, und zwar an einem Leermond zur dunkelsten Stunde, damit garantiert kein Bewohner und auch keine Bewohnerin im umliegenden Schweizerland den Anblick von Nackten ertragen muss beziehungsweise sich daran erfreuen kann.

2100 Personen, also soviele wie Noseland an Quadratmetern aufweist, sollen am letztmöglichen Leermond-Termin im Brachejahr, am 12./13. Juli 2018, sich unauffällig und leise zwischen Mitternacht und ein Uhr auf dem Gelände einfinden und sich gleichmässig verteilen, so dass auf jeden Quadratmeter eine Person zu stehen kommt. Zwecks Orientierung können diskrete Lichtquellen wie Handys und Taschenlampen benutzt werden.

Um ein Uhr werden Thomas Zollinger und so es ihm gefällt auch König Bruno die noseländische Grenze abschreiten. Es ist das Zeichen für alle Teilnehmenden, die letzten noch angeknipsten Lichter auszumachen. Nach und nach werden das Lichterlöschen auch jene bemerken, die sich in der Mitte der noseländischen Wiese aufhalten. Sie werden als Letzte das Licht ausmachen. Nach einer geschätzten Viertelstunde dürfte es komplett dunkel sein. Es ist das Zeichen, sich auszuziehen.

Da für das Brachejahr die Regelung gilt, keine Kunstbauten aufzustellen, was im Umkehrschluss heisst, dass ein Werk, das keine Kunstbauten vorsieht, im Brachejahr durchgeführt werden kann, müssen nun, da zwingend das Werk nicht realisiert werden soll und nur als Fantasie weitererzählt werden darf, die Kleider so platziert werden, dass sie den Körper nicht berühren und somit 2100 Kunstbauten entstehen. Damit wird die  Bedingung der Nichtrealisierung des angelieferten Werkes  eingehalten und das Werk wird ausschliesslich im Fantasieraum Spuren hinterlassen.

Wie müssen nun die Kleider platziert werden, damit als Resultat klar eine Kunstbaute zu erkennen ist? Es kommt wohl nur in Frage, sie mit einem Abstand zum Körper auf den Boden zu legen, oder noch besser zu stellen. Auf diese Weise entsteht eine einigermassen eindeutige Kunstbaute. Natürlich könnten alternativ die Kleider an aufgespannten Drähten aufgehängt werden. Das Aufhängen würde sich allerdings nicht mehr aufdrängen, da die Vorrichtung mit den aufgespannten Drähten bereits als Kunstbaute gelten kann. Die Kleider könnten dann ebensogut in den Händen getragen oder auf dem Kopf balanciert werden.

Die naheliegende Variante, die Kleider wie am 20. August bei „Nudeland“ ausserhalb der noseländischen Wiese zu deponieren fällt ausser Betracht. Es gäbe dann keine Kunstbauten auf dem brachliegenden Noseland, die für die Nichtrealisierung des Werks nötig sind. Ohne Kunstbaute könnte oder müsste es realisiert werden. Die Vorgabe der Brachejahr-Ausstellung, die für das Werk nur den Fantasieraum vorsieht, wäre nicht eingehalten.

Die 2100 also bekleidet auf die noseländische Wiese gelangten Personen haben sich in der Mitte ihres Quadratmeters stehend endlich ausgezogen und legen, noch besser stellen ihre Kleider mit genügend Abstand zum Körper neben sich auf den Boden. Sie haben genügend Platz, um Bauch, Oberkörper, Arme und Kopf zu bewegen, sich zu dehnen und bei Frösteln den eigenen Körper warmzureiben.

Es werden sich nach einiger Zeit über sich ausstreckende Arme und die Fingerspitzen Berührungen zwischen den nackten Körpern ergeben. Sie sollen nicht forciert werden. Der Stand soll nur aufgrund klarer innerer Impulse und unwiderstehlichen Hinziehungskräften verändert werden. Die nackten Körper können sich einander annähern oder voneinander entfernen, das heisst, es geschieht durch die regelmässige Verteilung der 2100 Personen auf Noselands Gesamtfläche logischerweise beides gleichzeitig.

Nach und nach werden sich kleine Gruppen von sich berührenden nackten Körpern bilden, deren Bewegungen entweder in einen langsamen Tanz übergehen oder, da es bei eher kühler Witterung sein kann, dass die Nackten einander warm geben möchten, in ein festes Aneinanderreiben und Umeinandersichschlingen. Allfällige Lustgeräusche sollen umgehend in Stille und Bewegung transformiert werden. Ein erneuter Polizeibeamtenauftritt, in diesem Fall wegen der im angrenzenden Schweizerland ahndbaren Nachtruhestörung, muss vermieden werden.

Spätestens um 2h morgens schreiten Thomas Zollinger und so es ihm gefällt auch König Bruno die Grenze ein zweites Mal ab. Es ist das Zeichen, sich wieder anzuziehen, und Noseland unauffällig und leise zu verlassen.

Tue Gutes und rede darüber – von der Geste dieser inszenierten Rücksichtnahme auf das nachbarschaftliche Ausland darf im Vorfeld gesprochen und im Nachhinein erzählt werden. Es darf das Gerücht gestreut werden, dass 2100 Personen sich extra in der Nacht und zur dunkelsten Stunde zu einem Nacktauftritt auf dem anarchistischen Königreich Noseland einfinden, um ausdrücklich nicht gesehen zu werden, auf dass sich niemand im angrenzenden Ausland mehr gestört zu fühlen braucht – ausser durch die oder in der eigenen Fantasie.

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